„Der Lehrer soll die Kinder bestätigen!“


Walter Kempowski war Pädagoge mit Leib und Seele. Nach einem Studium in Göttingen wurde er Lehrer und ergriff den – wie er es nannte – „ehrenwerten Beruf“ des Dorfschulmeisters an einer kleinen Landschule in Norddeutschland. Zusammen mit seiner Frau Hildegard, ebenfalls Lehrerin, unterrichtete er erst im niedersächsischen Breddorf, dann an der Schule in Nartum – und später, nach Auflösung der Zwergenschulen, in Zeven. Walter Kempowski entwickelte eine eigene Fibel, die er im Unterricht einsetzte und mit der seine Schülerinnen und Schüler erfolgreich das Lesen lernten. 1980 folgte er dem Ruf der Universität Oldenburg und übernahm bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1991 regelmäßig Lehraufträge in den Fächern Germanistik und Pädagogik. Als Gastdozent im In- und Ausland wurde er einem breiten Publikum bekannt.

Ich habe in allererster Hinsicht immer dafür gesorgt, daß die Kinder so bleiben, wie sie sind. Und auch das war meine Maxime: der Lehrer soll die Kinder bestätigen in ihrem Sosein und immer wieder sagen: was du mir zu bieten hast, ist so unendlich viel reicher und geschlossener und harmonischer als das, was ich gezwungen bin, dir jetzt aufzupfropfen.

Walter Kempowski im Gespräch mit Siegfried Lenz, 15. November 1981

Ein Pädagoge sollte nur frei unterrichten, das heißt, mit den Kindern selbst eine Eigenfibel schreiben, an ihren Erlebnissen orientiert. – Wenn ich nichts geleistet habe in meinem Leben, immerhin habe ich etwa dreihundert Kindern das Lesen und Schreiben beigebracht (wenn auch mit Lobesmarken und fragwürdigen Spaß-Gutscheinen), und ich habe sie „gewähren lassen“ dabei, und nicht versucht, ihr Bewußtsein zu ändern.
Sirius – Eine Art Tagebuch, 1990

 

Fragen stellen und zuhören können

 

Auch das schriftstellerische Werk Walter Kempowskis ist von seiner pädagogischen Berufung geprägt. Vordergründig spiegeln das die Bücher „Herzlich willkommen“ und „Heile Welt“, in denen der Autor das eigene Lehrer-Werden und die ersten Jahre als Dorflehrer (fiktiv) beschreibt. Darüber hinaus hat Walter Kempowski immer wieder das pädagogische Prinzip der Befragung eingesetzt: Er befragte seine Familie, Freunde und Verwandte, er befragte Fremde, seine Leserinnen und Leser, und er befragte sich selbst – immer wieder. Die Antworten komponierte er in seinen Romanen, in den sogenannten Befragungsbänden, letztlich auch im „Echolot“.
Fragen stellen und zuhören können, sich etwas erzählen und davon anleiten lassen. So arbeitet auch „Herr Böckelmann“, der kauzige Lehrer aus Walter Kempowskis beliebten Kinderbüchern. Wer in Nartum auf ehemalige Schüler des Lehrers Walter Kempowski trifft und ihren Erzählungen lauscht, ahnt schnell, wer sich hinter der literarischen Figur des Herrn Böckelmann versteckt…

Auszug aus „Unser Herr Böckelmann“, 1979


Morgens dürfen wir immer was erzählen. „Na, was gibt es Neues?“ fragt Herr Böckelmann und schmeißt seine Tasche in die Ecke. Alles dürfen wir erzählen, bloß nichts vom Zahnarzt.
„Vom Zahnarzt, das kann ich nicht aushalten“, sagt Herr Böckelmann, „seid bloß still davon. Mir tun ja alle Plomben weh.“
Vom Fernsehen will er auch nichts hören. Er sagt das zwar nicht, aber er hört dann nicht zu, er blättert in seinen Büchern. Manchmal sagt er dann: „Wer hat diesen Film auch gesehen? – Na also – dann brauchst du nicht weiter zu erzählen.“