Es ist ein wahrer Segen, daß ich Hildegard gefunden habe, so ist das Leben überhaupt erst lebenswert.
Wenn das man gut geht!
Aufzeichnungen 1956 – 1970, 2012
Hildegard Kempowski:
„Dieses große Haus mit anderen teilen zu können, das freut mich!“

„Was haben Sie denn von Kempowski gelesen?“ Mit diesem Satz empfing Hildegard Kempowski (1935 – 2019) gerne Besucherinnen und Besucher im Haus Kreienhoop. Forsch und direkt konnte sie sein, die Witwe des Schriftstellers Walter Kempowski. Doch immer brachte sie ihren Gästen ein aufrichtiges Interesse entgegen und war ihr Auftreten unprätentiös und authentisch. Tatkräftig sorgte Hildegard Kempowski nach dem Tod ihres Mannes dafür, dass Haus Kreienhoop der gastfreundliche Ort blieb, der er immer gewesen war und als öffentliche Stiftung auch bleiben sollte. Herzlich begrüßte sie das Publikum zu Autorenlesungen und Musikabenden, las an den Lesenachmittagen regelmäßig aus dem Werk ihres Mannes und erzählte bei Hausführungen so erfrischend aus dem Leben des Schriftstellers, dass man glauben konnte, er säße nebenan am Schreibtisch und käme gleich dazu.
Hildegard Kempowski ermunterte die Gäste, sich das Haus anzuschauen, Fragen zu stellen, wiederzukommen: „Bleiben Sie doch für ein oder zwei Wochen. Dafür ist das Haus doch da!“

Wie alles begann

Kennengelernt hatte Walter Kempowski die aus Oyten bei Bremen stammende Pastorentochter Hildegard Janssen 1956 in Göttingen, wo beide Pädagogik studierten. Sie trafen sich allerdings nicht in einer Vorlesung, sondern in der Tanzstunde: „Pausenlos hat er mich auf dem Tanzboden zum Lachen gebracht. Dabei neige ich zur Schwermut“, erinnerte sich Hildegard Kempowski später. Die zwei waren sich schnell sicher, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Und so ging man als frischgebackenes Lehrerehepaar im Frühjahr 1960 gemeinsam an die Dorfschule im niedersächsischen Breddorf. Einige Jahre später folgte die Versetzung nach Nartum. Da waren auch die zwei Kinder, Karl-Friedrich und Renate, schon geboren.
Gäste wollen unbedingt wissen, wie Hildegard, meine ‚Gattin‘ also, aussieht. Wenn ich sie vorführe, sind sie baff. Wie kommt dieser abstruse Mensch zu einer derartig attraktiven Frau?
Alkor – Tagebuch 1989, 2001

„Alles, was ich bin, bin ich durch Walter!“


Dass der Mann an ihrer Seite große literarische Ziele verfolgte, wusste Hildegard Kempowski von Anfang an. Doch es schreckte sie nicht. In den 1980er-Jahren – Walter Kempowski gehörte bereits zu den erfolgreichen deutschsprachigen Autoren – bekannte sie in einem ihrer damals äußerst seltenen Interviews: „Mein Leben ist recht ungewöhnlich neben diesem Mann!“ Eine Formulierung, die zumindest offenließ, ob die Beziehung mit einem arbeitswütigen und als schwierig geltenden Schriftsteller manchmal nicht heikle Momente bereithielt. Wie auch immer, Hildegard Kempowski wurde nie müde zu betonen: „Alles, was ich bin, bin ich durch Walter.“ Hier offenbarte sich, dass sie die Kunst des Zurücknehmens beherrschte – eine Begabung, die dank ihres pragmatischen Naturells jahrzehntelang zur Stabilität in Walter Kempowskis Leben beitrug. Nach seinem Tod im Jahr 2007 gestand Hildegard Kempowski allerdings auch: „Ich empfinde mich schon, muss ich ehrlich sagen, jetzt befreit von seiner Not, seiner ewigen Lebensnot, nicht anerkannt zu werden. Das war immer, immer das Thema.“
Sie steht mit ihren Hühnern auf du und du.
Somnia – Tagebuch 1991, 2008

Haus Kreienhoop als Lebensmittelpunkt


Wenn es um das Werk ihres Mannes ging, zeigte sich Hildegard Kempowski als äußerst kompetente Expertin: „In den Büchern ist so viel Trost! […] Ich will die Bücher vermitteln, es geht um die Texte von Kempowski.“ Dass das Haus – ihr Lebensmittelpunkt über mehr als vierzig Jahre – eine Stiftung wurde, begrüßte Hildegard Kempowski von Anfang an. Kreienhoop habe „eine Ausstrahlung, die tröstet.“ Deshalb tat sie alles dafür, „diesen Geist des Hauses“ auch anderen zugänglich zu machen. Fest verwurzelt in der Region, engagierte sich Hildegard Kempowski auch in der Dorfgemeinschaft: Sie lud Nachbarn und Freunde ein, ließ für Wandernde Holzbänkchen an Wald- und Wiesenwege bauen und war überall da zur Stelle, wo Unterstützung gebraucht wurde. Dabei hielt sie mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg, sondern sagte immer frei heraus, was sie dachte. Nur eine Frage, die ihr oft gestellt wurde, nämlich die, ob sie auch selbst schreibe, beantwortete sie jedes Mal mit einem energischen Kopfschütteln: „Das fehlte ja noch. Und Punkt.“