Fechner über sich: Man sieht mich nicht, man hört mich nicht, ich bin der Schnitt.
Walter Kempowski,

Tagebuch am 22. November 1993
Eberhard Fechner und Walter Kempowski bei den Dreharbeiten zu „Tadellöser & Wolff“.

Literatur im Fernsehen

Sie zählen zu den legendären Fernsehklassikern der 1970er-Jahre – die Kempowski-Verfilmungen des Regisseurs Eberhard Fechner, die für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) produziert wurden. Die zwei- bzw. dreiteiligen Filme „Tadellöser & Wolff“ (1975) und „Ein Kapitel für sich“ (1979) bewiesen Straßenfeger-Qualitäten: Ganz Deutschland sah der Filmfamilie Kempowski dabei zu, wie sie ihren Alltag in Rostock organisierte und wie sich ihr unbeschwertes bürgerliches Leben mit Klavierunterricht, Nachhilfe, Jazz und gutem Essen durch den Krieg veränderte; die Hochzeit der Tochter, der Tod des Vaters, die Nachkriegszeit, die Inhaftierung der Mutter und der Söhne, Einzelhaft, Wasserkarzer, Neubeginn – das Publikum fieberte vor dem Bildschirm mit.
Die werkgetreuen Verfilmungen, von Fechner bewusst in Sepia bzw. Schwarz-Weiß gedreht, erhielten zahlreiche Auszeichnungen, u.a. die Goldene Kamera für die Regie und die schauspielerische Leistung Edda Seippels in „Ein Kapitel für sich“.

„Klare Sache und damit hopp!“

Eberhard Fechner, für seine äußerst akribische, präzise und bisweilen unbeugsame Arbeitsweise bekannt, suchte mit den Drehbüchern die größtmögliche Nähe zu den Romanvorlagen und bewies auch bei der Besetzung Einfühlungsvermögen und Geschick. Walter Kempowski, der an den Drehbuchfassungen mitwirkte, hatte die Eltern-Darsteller empfohlen: Karl Lieffen für die Rolle des Vaters Karl Georg Kempowski und als Mutter Margarethe die Schauspielerin Edda Seippel. Dieses Paar war „die Seele des Ganzen“, wie Walter Kempowski später schreiben sollte.
Unter Nichtlesern berühmt geworden sind die Fechner-Verfilmungen aber auch wegen der Familiensprache der Kempowskis. „Wie isses nun bloß möglich!“ oder „Ansage mir frisch“ wurden für viele Zuschauer geflügelte Worte. Es bildeten sich Fanclubs in ganz Deutschland, Jugendliche kleideten sich als Swingboys wie die Kempowski-Brüder im Film – „klare Sache und damit hopp!“
Walter Kempowski sah den Erfolg der Verfilmungen noch Jahre später mit gemischten Gefühlen, konnte sich aber ihrer Wirkung dennoch nicht entziehen. So kommentierte er beispielsweise 1990 für die TV-Dokumentation seines Rostock-Besuchs: „Ich sehe statt meiner Eltern immer Karl Lieffen und Edda Seippel.“

Wie kommt es, daß man manche Filme mehrmals sehen kann? An der Qualität kann es nicht liegen, denn andere gute Filme sieht man einmal und nie wieder.
Bei Fechners „Tadellöser“-Filmen ist es die Detail-Fülle, die ein mehrmaliges Sehen möglich macht.

Alkor – Tagebuch 1989, 2001

Die Film-Familie Kempowski:  Gabriele Michel, Martin Kollewe und Martin Semmelrogge als Ulla, Walter bzw. Robert Kempowski, Edda Seippel und Karl Lieffen in der Rolle der Eltern.


Die Kempowski-Filmografie – eine Auswahl


Die Verfilmungen von Eberhard Fechner werden bis heute als Wiederholung im deutschen Fernsehen gezeigt. Im Jahr 2009 erschienen sie auf DVD. Die Film-Edition enthält auch den Kempowski-Film „Wer will unter die Soldaten…“ (1975) und zusätzliches Bonusmaterial.

 

Außerdem sind weitere Filme zu Leben und Werk Walter Kempowskis entstanden, so beispielsweise:


• „Ein Dorf wie jedes andere“ (Dokumentation von Hans-Joachim Herbst über das Leben in Nartum/Gyhum, 1980)
• „Herzlich willkommen“ (freie Verfilmung von Hark Bohm nach Motiven des gleichnamigen Romans, 1990)
• „Schuld als Schatten“ („Schuld als Schaduw“; eindrucksvoller Dokumentarfilm des niederländischen Filmemachers Cherry Duyns, 1990)
• „Sichtachsen – Notizen aus Kreienhoop“ (sehenswerte Videoaufzeichnung der Bremer Konzeptkünstlerin Marikke Heinz-Hoek, 2007)

Eberhard Fechner und Walter Kempowski

bei den Dreharbeiten zu „Ein Kapitel für sich“, 1970er-Jahre.

Walter Kempowski über die Zusammenarbeit mit Eberhard Fechner, 1973

 

Arbeit am Drehbuch mit Fechner. Sehr anstrengend, aber auch interessant. Zu meinem Erstaunen hält er sich sehr eng an den Roman. Nimmt das Buch gegen mich in Schutz. Wenn ich sage: Aber das können wir doch so und so machen, dann sagt er: „Nein, im Buch steht’s anders.“
Er sitzt am Schreibtisch und schreibt kritzekratze, und ich sitze daneben und schaue aus dem Fenster, wo das schönste Ferienwetter vergeht. Draußen kann er nicht arbeiten, sagt er. Also müssen wir in dem Loch sitzen, kein Sonnenstrahl.
Er füllt den Raum mit mächtigen Gesten, und ich sitze im Stuhl und starre vor mich hin. Die alten Geschichten! – Ab und zu hört er auf mit seinem Kritzekratze und sagt: „Helfen Sie mir!“ Dann kommt eine neue Szene an die Reihe.
Sirius – Eine Art Tagebuch, 1990

Karl Lieffen lernte ich 1948 in Wiesbaden kennen. Er war dort Schauspieler und spielte in einem Shakespeare-Stück mit und schon damals erfaßte ich seinen grotesken Humor sofort. Ein zweites Mal begegnete ich ihm in Bautzen – nämlich in einem tschechischen Film. Mein Bruder saß neben mir in dem Kirchenkino und wir beide waren uns einig: wenn irgendwann einmal unser Schicksal verfilmt wird, der muß den Vater spielen.
Walter Kempowski, Kommentare zu Haus Kreienhoop, 2005

Walter Kempowski mit Karl Lieffen bei den Dreharbeiten zu „Tadellöser & Wolff“, 1970er-Jahre.